Alexandra Colligs

Genealogie der Moral reversed: Breaking Bad

„Wie? wenn das Umgekehrte die Wahrheit wäre? Wie?
Wenn im >>Guten<< auch ein Rückgangssymptom läge,
insgleichen eine Gefahr, eine Verführung, ein Gift,
ein Narcoticum, durch das etwa die Gegenwart a u f
K o s t e n  d e r  Z u k u n f t  lebte?“[1]

Diese Frage ist einer der Ausgangspunkte der Überlegungen Friedrich Nietzsches zur Genealogie der Moral. Was uns als gut und uneigennützig gilt, ist hiernach nicht Ausdruck der wahrhaftigen und moralischen Natur des Menschen, sondern seine aus der Zivilisation geborene Krankheit. Subjektkonstitution wird in der Genealogie von Nietzsche als normative Unterwerfung des Individuums bestimmt, welche die Form einer innerpsychischen Zurichtung durch das Subjekt selbst annimmt. Das soziokulturelle Milieu dieser Wende ist für Nietzsche die christlich geprägte Gesellschaft, die reaktive Gewalt umwertet, verklärt und ideologisch im Sinne bestehender Herrschaftsverhältnisse funktionalisiert.

Die Konsequenzen dieser provokativen Weise Geschichte zu schreiben, waren stets umstrittener Gegenstand verschiedener Aneignungen. Immer wieder wurden diese auch filmisch inszeniert, wohl aber selten so spannend, wie durch Breaking Bad. Die Fernsehserie lässt sich als experimentelle Weiterentwicklung der Implikationen des oben zitierten Gedankens Nietzsches verstehen: Als Inszenierung dessen, was mit „dem Guten“ passiert, wenn es keine Zukunft mehr gibt, auf deren „Kosten die Gegenwart leben kann. Die Serie beginnt mit dem Verschwinden der Zukunftsperspektive in Form der Krebsdiagnose der Hauptfigur. Über 62 Episoden wird dann die Wandlung Walter Whites vom biederen Chemielehrer zum Powerplayer im internationalen Drogenkrieg entfaltet. Dass diese radikale Transformation plausibel wirkt, ist nicht nur den ästhetischen Realismuseffekten der Serie geschuldet, sondern lebt auch von der Glaubhaftigkeit eines bruchlosen Übergangs vom Ressentiment-Mensch zum aggressiven Egomanen. Das Gute der bürgerlichen Moral zerfällt im Anschauungs-Prozess Breaking Bad immer unwiederbringlicher und wird gegen Ende allenfalls zynisch aufgegriffen. Die Serie illustriert so nicht nur zentrale inhaltliche Figuren der Genealogie, sondern gleicht ihr auch in ihrem experimentellen und dramatischen Aufbau. In beiden Narrationen wird die konstitutive Beziehung zwischen Subjekt und Macht dargestellt, die Fragilität von Moral thematisiert und Weisen von Fremd- und Selbstbestimmung in Frage gestellt. Dass die Rezipierenden gegen Ende mit der Möglichkeit reflexiver Überprüfung ihres Soseins zurückgelassen werden, macht ihren politischen Reiz aus. Im Vortrag soll daher zum einen auf die motivischen und formalen Strukturähnlichkeiten zwischen Genealogie und Breaking Bad eingegangen werden, wie zum anderen diskutiert werden, ob diesen Inszenierungen von Machtprozessen so etwas wie ein kritisches Potential zugesprochen werden kann.

Alex Colligs studierte Philosophie, Germanistik und Psychoanalyse an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Augenblick promoviert sie bei Christoph Menke über den Zusammenhang von Ästhetik und gesellschaftlichen Emanzipationsprozessen. Die Schwerpunkte ihres Studiums und ihre Interessengebiete sind Ästhetik, Subjekttheorie, Sozialphilosophie, Popkultur und Philosophie des Films.

[1] Nietzsche, Friedrich: Zur Genealogie der Moral, Stuttgart 2005, S. 9.

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